Twitter Diplomatie - Neue Mode unter Staatsmännern
Carl Bildt versteht die Welt nicht mehr. In einer brenzligen Situation hatte der schwedische Außenminister das Volk informiert: Ja, es gab einen Selbstmordanschlag in Stockholm. Nein, es kam niemand zu schaden. Aber es hätte was passieren können. Man ist beunruhigt, wird das näher untersuchen.
Klare Worte, staatsmännisch, direkt. Denn Firlefanz und Herumgerede lässt Twitter nicht zu. Warum es daraufhin Kritik und Schmähungen hagelte, warum die schwedische Presse von „wirklich miesem Krisenmanagement“ sprach, geht Bildt nicht in den Kopf. Er hätte erst die offizielle Stellungnahme der Regierung abwarten müssen, hieß es. Man hätte die klassischen Kanäle bespielen müssen: Eine Polizeimeldung, die via Presse verlautbart wird. „Blödsinn“, meint Bildt, „Twitter ist Teil jener offenen Diplomatie, die unsere moderne Welt kennzeichnet. Nicht jeder mag das. Manche mochten ja auch das Internet nicht. Oder die Dampfmaschine.“
„Offene“ oder vielleicht treffender „öffentliche“ Diplomatie – damit ist Bildt nicht alleine. Auch die Pressesprecherin des Weißen Hauses stellt ihre Informationen auf Twitter, noch ehe es die dazugehörige Pressekonferenz samt erforderlichem Brimborium gibt. „Das wird bald normal werden“, ist Matthias Lüfkens überzeugt, „Regierungsinformationen, die früher über die Presse gingen, gehen jetzt via Twitter direkt ans Volk. Die Welt ändert sich.”
Lüfkens ist Pressesprecher und Social Media Experte des Weltwirtschaftsforums. Twitter ist ihm Brotberuf und Steckenpferd gleichermaßen – und das zwitschernde Verhalten von Regierungen und Staatsmännern sein erklärtes Untersuchungsobjekt. Über 60 Staatsoberhäupter sind auf Twitter vertreten, weiß Lüfkens, von den G20-Staaten sind es zumindest mehr als die Hälfte. Was das bedeutet? Wir können mit den führenden Staatsmännern der Welt kommunizieren, indem wir ihnen eine simple @-Reply senden. Sie werden sie vermutlich nicht lesen. Aber irgendjemand in ihrem Stab wird es früher oder später tun.
Kommunikation wird einfacher; in jede Richtung. Königin Rania von Jordanien etwa genießt ihre Twitter-Freiheit sehr: „Hi Bill Gates“, schreibt sie, „Schön, dass du jetzt auch hier auf Twitter bist. Hoffe, dich in Davos zu treffen!“ Was für unsereins alltäglich klingt, kommt einer kleinen Sensation gleich: Die Königin verabredet sich via Twitter und überspringt einfach den traditionellen Weg über Berater und Hofstaat. „Und sie betreut ihren Account wirklich selber“, sagt Lüfkens, „Das kann ich bezeugen.“
David Cameron seinerseits folgt sämtlichen G20-Twitteren. Er tut das erst seit kurzem, genau genommen, seit er einen Artikel von Lüfkens gelesen hat. Die Geste kommt einer diplomatischen Offerte gleich und es bleibt abzuwarten, wer darauf reagiert und die „Followerschaft“ erwidert. Selbstverständlich ist das offenbar nicht; das sieht man am besten an der französischen Regierung: @Elysee folgt genau niemandem. Nicht einmal den eigenen Ministern.
„Die Franzosen haben einfach noch nicht begriffen, was Twitter ist. Sie benutzen es als Sprachrohr, um ihre Meldungen an den Mann zu bringen, aber übersehen, dass es bei Web 2.0 immer um die Konversationen, um Reziprozität geht. Social Web beruht nun mal auf Gegenseitigkeit, alles andere funktioniert nicht – oder besser gesagt: nicht mehr.“
Abschauen kann man sich hingegen etwas von Hugo Chavez (@Chavezcandanga); er ist extrem kommunikativ, antwortet seinen Followern und ist in stetem Kontakt zu seinen Nachbarn. Der neuen brasilianischen Präsidentin Dilma Rouseff (@dilmabr) hat er via Twitter zur Wahl gratuliert und mit der argentinischen Präsidentin Cristina Fernandez (@CFKArgentina) wird viel geschäkert. “Hola Hugo!” antwortet sie. Überhaupt: Twitterprofi Fernandez folgt allen Staatsoberhäuptern Lateinamerikas. Aber Barack Obama und dem Kreml folgt sie nicht. Frau muss eben Prioritäten setzen…
Lüfkens streut dem venezolanischen Präsidenten weitere Rosen: “Hugo Chavez ist unglaublich. Ich glaube zwar nicht, dass er das persönlich macht, aber alle seine Nachrichten sind von unterwegs getwittert, von einem Blackberry aus. Normaler Weise würden Presseberater das von einem Desktop aus machen. Er muss also jemanden an seiner Seite haben, der sämtliche Antworten mit ihm bespricht.”
Apropos: Medwedew muss ebenfalls einen guten Twitterberater haben. Die Messages kommen absolut persönlich und authentisch rüber. Zudem ist der russische Präsident Hobbyfotograf und stellt seine Bilder auf Twitpic. Allerdings nicht immer mit der erforderlichen diplomatischen Umsicht. Bei seinem Besuch auf den Kurilen machte Medwedew Landschaftsaufnahmen der Insel Kunaschir, die er auf Twitter mit folgenden Worten kommentierte: “There are so many beautiful places in Russia. Here is Kunashir.” Ähem. Die Japaner, die seit Jahrzehnten die Rückgabe jener vier südlichen Inseln fordern, die von sowjetischen Truppen im Zweiten Weltkrieg besetzt wurden, waren wenig erfreut über den getwirrterten Mittelfinger in Richtung Tokyo. Prompt zitierten sie den russischen Botschafter ins Außenministerium, wo er Medwedews bilaterale Beziehungsscherben aufkehren durfte…
Auch Samsung dürfte wenig erfreut über Medwedews Twitterei sein. Immerhin konnten mehr als 12.000 Menschen lesen, dass der russische Präsident ein neues Samsung Galaxy Tab sein eigen nennt, das zwar “sehr praktisch ist, aber die Qualität ist nicht so gut”. Sagen wir’s frei heraus: Der Twitterberater muss da wohl grad einen Wodkarausch ausgeschlafen haben…
Stellt sich noch die Frage, wie Obama seinen Twitter-Account handhabt. Schließlich gilt er als der Vorzeigepolitiker in Sachen Web 2.0, obwohl inzwischen bekannt ist, dass er keine einzige seiner Meldungen je selber geschrieben hat. Schade eigentlich. Sein Ein-Wort-Tweet “Humbled.” (als Reaktion auf den Friedensnobelpreis) hätte das Zeug zu einem Klassiker gehabt. Wenn er bloß von ihm persönlich gewesen wäre.
Lüfkens: “Ich erwarte nicht von einem Präsidenten, dass er die Zeit hat, selber zu twittern, daher stört mich das auch im Fall Obama nicht. Was ich aber erwarte, ist, dass sie das Medium ernst nehmen. Und es ist ist gut, wenn sie sich ab und zu auch wirklich mit ihren Followern auseinandersetzen.” Wie Arnie. Der Gouverneur von Kalifornien (@schwarzenegger) hält regelmäßig Twitter-Interviews ab, in denen er Rede und Antwort steht. “Das ist”, meint Lüfkens, “schon fast ein bißchen direkte Demokratie
Die Führer der Welt merken, dass sie untereinander kommunizieren können. Das ist wesentlich bedeutsamer als die Frage, wer die meisten Follower hat. Gut, Obama hat 6 Millionen, Sarkozy hat etwa 8.000. Alle anderen bewegen sich dazwischen. Aber was wirklich zählt ist: Folgen sich die Staatsmänner gegenseitig? Denn dann, und nur dann, können sie sich auch private Nachrichten („Direct Messages“) schicken. Dann wird die Twitplomacy spannend. Dann kann Twitter das rote Telefon, den direkten Draht zwischen Washington und Moskau ersetzen.
Bloß: Wie sicher sind solche Direct Messages zwischen dem weißen Haus und dem Kreml eigentlich? Lüfkens: “Nichts, was man ins Internet stellt ist je wirklich sicher. Aber das sind die traditionellen diplomatischen Depeschen – wie man gesehen hat – genauso wenig. Und das rote Telefon hätte theoretisch auch abgehört werden können. Twitter ist einfach eine neue Art, sich auszutauschen.”
Dimitri Medwedew (@MedvedevRussiaE) und Barack Obama (@BarackObama) erkennen und nutzen das. Sie folgen dem Twitter Account des jeweils anderen. Außerdem folgen sie beide dem britischen Premier David Cameron (@Number10gov), aber Obama folgt weder dem kanadischen Premierminister, noch dem Präsidenten von Mexiko, naja, sind ja bloß die direkten Nachbarstaaten, ist vielleicht nicht so wichtig…